Ein mobiler Blitzableiter

Ein internationales Forscherteam nutzt einen Hightech-Laser um Blitze auf eine vorgebene Bahn zu zwingen. Bisher gelingt dies nur über kurze Strecken. Um den Praxistest bestehen zu können, müssen jedoch rund hundert Meter überwunden werden
von CLAUDIA BORCHARD-TUCH

Rund um den Erdball toben zu jeder Zeit etwa tausend Gewitter, und während eines starken Unwetters entladen sich bis zu 2.000 Blitze in der Stunde. Diese Blitze üben eine zerstörerische Gewalt aus. Allein in Deutschland verursachen sie jedes Jahr Schäden in Milliardenhöhe.

Früher waren es vor allem Gebäude, die durch Blitze zerstört wurden. Heutzutage entstehen die meisten Schäden an elektronischen Geräten. Denn jeder Blitz erzeugt einen starken elektromagnetischen Impuls. Kabel und Zuleitungen fangen diese Störung auf und leiten sie direkt in die Geräte.

Seit langer Zeit suchen die Menschen nach Wegen, sich vor Blitzen zu schützen. Bereits 1760 erfand Benjamin Franklin den Blitzableiter. Dieser fängt in der Höhe einen Blitz ein und leitet ihn nach unten, wo er keinen Schaden anrichtet - in den Boden. Doch solch ein Blitzableiter kann die empfindliche moderne Elektronik nicht ausreichend schützen: Sie wird bereits durch das elektromagnetische Feld eines in der Nähe einschlagenden Blitzes beschädigt. Forscher suchen daher nach Alternativen.

Inzwischen entwickelten Physiker aus Lyon, Paris, Tokio, Jena und Berlin eine wahrscheinlich recht wirksame Methode, bei der Blitze mit Hilfe von Laserstrahlen eingefangen und auf ungefährliche Bahnen gelenkt werden. Das Gerät, das die hilfreichen Laserstrahlen erzeugt, ist ein Laser der Terawatt-Klasse. Damit ist seine Leistung etwa zehnmal so groß ist wie die aller Kraftwerke Deutschlands, die bei hundert Milliarden Watt liegt. "Diese riesige Leistung wird aber nur während einer sehr kurzen Zeitspanne erreicht. Die mittlere Leistung des Geräts liegt bei ein paar Watt und entspricht damit der einer Taschenlampe", sagt Jérôme Kasparian von der Université Claude Bernard in Lyon.

Der Laser ist in einem herkömmlichen Eurocontainer montiert und kann per Lkw-Tieflader den Standort wechseln ("Teramobil"). Er kann einen starken, ultrakurz gepulsten Laserstrahl erzeugen. Wie extrem kurz die Laserentladung ist, stellt Kasparian anschaulich dar: "Selbst wenn man die Strecke von der Erde bis zum Mond in einer Sekunde schaffen würde, könnte man in dieser Zeit nur einen Weg zurücklegen, der dem Durchmesser eines Haares entspricht."

Schießt man einen solchen Strahl in die Atmosphäre, so bildet sich auf seiner Bahn ein Kanal von sehr hoher elektrischer Leitfähigkeit. Dieser Kanal übt auf Blitze eine stark anziehende Wirkung aus. Da die Blitze in den vom Laser bestimmten Kanal quasi hineingezwungen werden, können ihre Wege vorher bestimmt werden. Dies konnten die Wissenschaftler bereits in zahlreichen Laborversuchen demonstrieren. In einer großen Halle lenkten die Forscher den Laserstrahl zwischen zwei spannungsgeladene Metallstücke - Elektroden. Zwischen ihnen herrschte ein sehr hoher Spannungsunterschied von zwei Millionen Volt. Der Beschuss durch den Laserstrahl löste einen künstlichen Blitz aus. Der Laserstrahl schuf nämlich eine elektrisch leitfähige Verbindung zwischen den beiden Elektroden, über die sich die Spannung innerhalb einer billiardstel Sekunde entlud.

Die Wissenschaftler positionierten die Elektroden in verschiedenen Abständen voneinander und stellten mit großer Zufriedenheit fest, dass die Hochspannungsentladung auch dann noch gelang, wenn die beiden Elektroden 3,8 Meter voneinander entfernt waren. Aber die Forscher wollen noch weitaus mehr. Ihr Ziel ist es, künftig zehn Meter und irgendwann sogar einmal hundert Meter zu überwinden.

Dann könnte ein neuartiges Blitzableitersystem der modernen hochempfindlichen Elektronik einen wirksamen Schutz bieten. Und so soll es funktionieren: Der Laser wird in der Nähe einer elektronischen Hightech-Anlage stationiert. Nähert sich ein Gewitter, werden hochintensive Laserstrahlen in die Wolken gelenkt, über die die Blitze zur Erde fahren. Da die Blitze auf die Bahnen der Laserstrahlen gezwungen werden, können sie keine zerstörerischen Wirkungen mehr entfalten. Solch ein wirksames Blitzableitersystem wird wahrscheinlich für die Zukunft von hoher Bedeutung sein. Denn die Klimaerwärmung lässt die Zahl der Gewitter wachsen. Bei einem Temperaturanstieg von fünf Grad rechnet man mit bis zu achtmal mehr Blitzen.

taz Nr. 6869 vom 4.10.2002, Seite 14, 143 TAZ-Bericht CLAUDIA BORCHARD-TUCH

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