Wissen & Forschen
30.07.2003
Wünschelrute für den Himmel
Nicht jede Wolke bringt Regen – Berliner Physiker können nun erkennen,
ob es für Niederschläge reicht
Von Gideon Heimann
In den vergangenen Tagen ist etwas Regen gefallen – aber für die
Pflanzen noch lange nicht genug. Das Wetter lässt sich eben nicht zwingen.
Denn Niederschläge können erst dann entstehen, wenn in höheren
Luftschichten genügend Feuchtigkeit als Dampf vorhanden ist.
Zwar wird seit gut 50 Jahren versucht, Regen zu machen, indem man die Wolken
von Flugzeugen aus mit Silberjodidpulver „impft“. Auch die Hagelflieger in
Bayern arbeiten damit: Sie wollen den Niederschlag früh auslösen
und damit verhindern, dass die Körner zu groß und schwer werden.
Denn ein zu kräftiger Hagelschlag kann ganze Ernten vernichten. All
das hat aber nur dann Sinn, wenn die Luft tatsächlich genügend Wasser
enthält. Und das konnte man bisher nicht genau einschätzen.
Nun aber haben Meteorologen und Klimaforscher ein neues Instrument, aus
der Ferne zu erkunden, ob und wo diese Grundbedingung erfüllt ist. Ludger
Wöste, der an der Freien Universität Berlin Physik lehrt, und seinem
Kollegen Jean-Pierre Wolf von der Universität Lyon ist es gelungen, ein
Verfahren zu entwickeln, das mit Hilfe eines mobilen Hochleistungs-Lasergeräts
der Luftfeuchte auf die Spur kommt. Die Feuchtigkeit wird dabei in feine Wassertropfen
verwandelt – ganz ähnlich dem Kondensstreifen eines Flugzeugs, erläutert
Wöste. Je größer die Menge dieser Testtröpfchen ist,
desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass es regnet.
Das Lasergerät kann Impulse immenser Leistung abgeben – zwar nur für
Bruchteile von Sekunden, aber immerhin: Es sind Billionen Watt für Billiardstel
Sekunden. Und das hat erhebliche Auswirkungen auf die Luft. Denn das Licht
des Laserstrahls trägt eine hohe elektromagnetische Feldstärke in
sich. „Das muss man sich vorstellen wie die Aufladung in der Luft eines nahenden
Gewitters", sagt der Physiker. Also wenn die Spannung am größten
ist – bevor es knallt.
Die Feldstärke wiederum bewirkt, dass sich die Luft, die der Strahl
durcheilt, gleichsam wie eine Linse verhält: Der Laserstrahl wird nicht
etwa an den Luftteilchen gestreut, wie wir es zum Beispiel vom Taschenlampenlicht
oder vom Autoscheinwerfer im Nebel kennen. Er wird, im Gegenteil, noch weiter
gebündelt. Damit wächst die Energiedichte im Strahl so stark,
dass die Luftteilchen, die sich dort aufhalten, wie beim Blitz auseinander
gerissen werden: Elektronen lösen sich aus der Hülle der Atome,
sie ionisieren.
Das verringert zwar den Bündelungseffekt wieder. Aber in diesem Hin
und Her bildet der Laserstrahl über größere Entfernungen hinweg
fadenförmige Strukturen ionisierter Materie: ein Plasmabündel. Gerade
die elektrisch geladenen Teilchen, die Ionen, sind es, die dem Wasser in
der Luft „Andockstellen“ bieten: Kondensationskeime, an denen Tropfen wachsen
können, eben wie am Silberjodid der „Hagelflieger“.
Ein Testtropfen ist noch kein Regen. Aber könnte man mit dem Verfahren
Wolken womöglich gleich richtig „melken“? Im Prinzip: Ja. Und doch
ist es unrealistisch, sagt Wöste. Denn dazu müsste man mit dem
Laser großräumig verteilt in die Atmosphäre schießen.
Derweil ergeben sich noch ganz andere Möglichkeiten für solche
elektrisch leitenden Plasmabündel. Sie könnten in nicht allzu ferner
Zukunft als zuverlässige Blitzableiter dienen, um die Gewitter-Entladungen
von Flughäfen oder Rechenzentren abzulenken. Denn deren Elektronik ist
sehr sensibel und kann von einem dicht nebenan einschlagenden Blitz gestört
oder sogar zerstört werden.
Die vom Laserstrahl verursachte Ionisierung der Luft bildet gleichsam einen
Elektronen-Kanal, an dem sich auch ein Blitz bequem entlanghangeln könnte
– gleichsam ein virtueller Draht in die Wolken. Bislang muss sich diese Entladung
mühsam einen eigenen Weg im Zickzack durch die Luft bahnen.
Für den „Regenwächter“ haben die Fachleute sogar schon ein Patent
erwirkt – im Namen der Freien Universität, und damit das erste der Uni
überhaupt. Möglich wurde das durch eine Änderung des Arbeitnehmer-Erfindergesetzes.
Gemeinsam mit der Investitionsbank Berlin haben die Berliner Universitäten
eine Gesellschaft für Patentverwertungen gegründet. Seit Oktober
2001 sind insgesamt 15 Erfindungen von FU-Forschern auf den Weg zum Patent
gebracht worden.
2002 © Verlag Der Tagesspiegel GmbH